Dienstag, 01. März 2011 00:00
Seit Wochen betreiben die Medien eine öffentliche Hetzjagd auf den Verteidigungsminister*. Sein Vergehen: Er hat in seiner Doktorarbeit (bewusst oder unbewusst) gravierende Fehler gemacht. Was sagt die Kampagne über die Fehlerkultur in diesem Land aus?
Bevor ich mit der Verteidigung des Verteidigungsministers beginne, möchte ich Ihnen drei Fragen stellen:
1. Wenn sich in einem Korb mit Obst ein fauler Apfel befindet, ist dann der Obstkorb faul?
2. Wenn Sie einen verkrüppelten Arm haben, sind Sie dann ein Krüppel?
3. Wenn Sie einen gravierenden Fehler gemacht haben, sind Sie dann ein Versager?
Überlegen Sie sich die Antworten bitte nach den logischen Regeln der Wissenschaft.
Zurück zum Thema: Der Erfolg der deutschen Wirtschaft basiert im Wesentlichen auf einer präzisen Arbeit. Der Deutsche in den Augen anderer Kulturen ist entweder Arzt, Ingenieur oder Wissenschaftler. Das Technische und Funktionale ist etwas, das im Guten wie im Bösen mit der Natur dieser Nation verbunden scheint. Es ist nicht zuletzt dieses Selbstverständnis einer Kultur, das jetzt zum öffentlichen Aufschrei beiträgt. Hier kämpft ein Stand um seine Daseinsberechtigung. Wohlwissend, dass seine Zeit womöglich abgelaufen ist, und die Werte der Vergangenheit die Zukunft nicht mehr bestimmen werden.
Herr zu Guttenberg hat unter schwierigen Bedingungen (Familie, Beruf) über einen langen Zeitraum an seiner Doktorarbeit gewerkelt. Sicher war ihm bewusst, dass der Abschluss und der damit verbundene Titel ihm für die Karriere nicht abträglich sein werden. Er hat gehandelt wie viele Karrieristen in diesem Land. Es ist eher nicht die Liebe zur Wissenschaft, die Menschen zur Promotion inspiriert, viel eher die Erkenntnis, dass wir nach wie vor in einem Land leben, das Titeln und Zeugnissen entscheidende Bedeutung beimisst. Ist es da verwunderlich, dass Arbeiten nach dem Grundsatz „Der Zweck heiligt die Mittel“ durchgeführt werden?
Nicht erst seitdem man von einer Mediengesellschaft spricht, ist der Schein wichtiger als das Sein.Und da kommt nun einer daher und erlaubt sich Fehler. Der politische Ikarus hat die Wut seiner Gegner, ihn auf das menschliche Maß zu reduzieren, unterschätzt. Fehler sind nämlich unerträglich und schädigen den Wissenschafts- und Wirtschaftsstandort Deutschland – vorausgesetzt, man deckt sie auf. Wie viele faule Doktor- und Professorentitel würde man wohl finden, wenn man bei jedem die gleiche Akribie anwenden würde, wie bei Herrn Guttenberg? Niemand hat wirklich Interesse diese Frage zu beantworten.
Hinzu kommt, dass der Angegriffene ein Erneuerer ist, einer der Altes suspendiert und überholte Organisationen abschafft. Wie alle Change-Manager erfährt er Gegenwind durch jene, die ihre Besitzstände gefährdet sehen. Auch wenn er in der Sache Recht hat – wer die Person diskreditiert, sabotiert auch die Veränderung und sichert die Tradition. So wie dem Verteidigungsminister geht es allen Menschen, die das System reformieren wollen. Zu viele leben mit dem schleichenden Untergang gut. Parallel haben Killerphrasen Hochkonjunktur. Wer Neues wagt, ist inkompetent, hat keine Erfahrung, weiß nichts vom Geschäft, ist arrogant, ihm geht es nur um den eigenen Vorteil,…und, und, und. In jeder Lüge steckt auch ein Körnchen Wahrheit. Wiederholung ist die Mutter aller Propaganda. Es bewährt sich Hartnäckigkeit – eine deutsche Tugend.
Die Zukunft ist nicht Deutsch, sie ist international. Die Amerikaner sagen, Erfolg hat, wer einmal mehr aufsteht als er hinfällt. Für die Chinesen ist die gelungene Kopie eine große Kunst. Zukunft hat, wer sich seiner Fehler bewusst und stolz darauf ist. Ohne Fehler kein Fortschritt. Karl Popper meinte: „Ich versuche Fehler so schnell wie möglich zu machen, um möglichst schnell daraus zu lernen.“ Der klassische Wissenschaftler ist selten innovativ. Erfinder machen Fehler.
Eigenschaften, die man extrem kultiviert, verwandeln sich aus einer Stärke in eine Schwäche. Ein unmenschliches Maß an Genauigkeit, Verbindlichkeit und moralischer Reinheit bewirkt Engstirnigkeit, Rückwärtsgewandheit und Inquisition. Unternehmen, Staaten, die Politik, und auch der Mensch gegenüber sich selbst, braucht eine Haltung der Fehlerfreundschaft mit einem gesunden Maß an Rivalität.
Freundschaft bedeutet, dass man den ganzen Menschen sieht und ihn nicht wegen einer Verfehlung verdammt. Fehler werden so zu Freunden und Rivalen im Erfolg. Sie zeigen einem den Weg.Die Zukunft des Wirtschaftsstandortes entscheidet sich mit der Fähigkeit, seinen Erneuerern Toleranz und Respekt und das heißt eindeutig Fehler und Unvollkommenheit zu erlauben.
Die Coaching-Lehre aus der Causa Guttenberg: Wenn Sie etwas Neues ausprobieren wollen, auf geht’s! Versuchen Sie nicht mit aller Kraft, Fehler zu vermeiden. Der entscheidende Aspekt für positive Veränderung ist tatsächlich nicht das Wissen und die Wissenschaft. Das Entscheidende ist das TUN. Kritik wird sie ohnehin erwarten. Aus der Distanz betrachtet, stärkt es Ihre Persönlichkeit, wenn Sie Risiken eingehen, scheitern…und wieder aufstehen und erfolgreich sind.
Das alles kann mit Stress verbunden sein, was aber nicht nur negativ zu sehen ist, denn Stress (= Belastung) bedeutet im Idealfall auch, dass Sie etwas leisten. Die richtige Mischung aus Anstrengung und Entspannung spielt eine wichtige Rolle. Das Vermeiden jeglichen Stress, schwächt ihr Immunsystem und blockiert die Selbstverwirklichung. Achten Sie auf die Balance zwischen den Polen und erhöhen Sie die Frustrationstoleranz, damit Sie langfristig (!) zufrieden leben können.
Positives Stressmanagement basiert darauf, dieses Gleichgewicht mit der Perspektive dauerhafter Zufriedenheit in den Alltag zu integrieren. Es stärkt Ihre Frustrationstoleranz und entwickelt Ihre Empfindsamkeit.Der Minister wird die Angriffe gegen seine Person überleben. Das System der Null-Fehler-Toleranz wird sich selbst überholen. Coaching für den Minister in Ihnen gibt’s hier.
* Die Entwicklung des Artikels überschnitt sich mit dem Rücktritt des Ministers
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