Achtung Baustelle: Wertarbeit im Assessement-Center

Sonntag, 01. Mai 2011 19:25


In großen Unternehmen gehört es zum guten Ton, Assessment- Center und Potenzialanalysen durchzuführen. Leider gehen immer mehr Auswahlverfahren den Weg von Zielvereinbarungen und Leitbildern. Sie sind der Mühe nicht wert, weil sie fehlerhaft durchgeführt werden und weder zuverlässige noch aussagekräftige Ergebnisse zu Tage fördern. Was sind die billigsten Fehler die teure Berater begehen?

1.       Der erste Fehler, den ich nennen möchte, ist häufig nicht allein den Assessoren zuzuschreiben. Viele Unternehmen begehen verhängnisvolle Fehler im Recruiting und der Vorauswahl der Kandidaten. Das Anti-Diskriminierungsgesetz gilt unter Personalfachleuten längst als Witz. Würde es funktionieren, könnte es vielleicht verhindern, dass auch in Zeiten von Fachkräftemangel, demographischen Wandel und der Diskussion über eine Frauenquote in Führungspositionen noch immer der typische junge, männliche Young Professional Vorteile hat, eine Einladung zu ergattern. Warum halten sich diese Bewerberklischees nur immer noch in den Personaletagen? Es gibt gute Leute über 50 und Frauen, die nach Kinderjahren mit viel Elan zurückkehren wollen. Von der Diskriminierung von Menschen mit Immigrationshintergrund will ich erst gar nicht sprechen.

2.       Ein echter integraler Fehler der AC-Konstruktion ist die unzureichende Operationalisierung von Eigenschaften. Immer wieder wird davon gesprochen, dass das Urteil sich auf Beobachtungen bezieht, doch das, was beobachtet werden soll, bleibt meist unklar. Trotz Beobachterschulung werden Fähigkeiten wie Führungskompetenz, Einfühlungsvermögen oder Analytisches Denken in den Bewertungsmanualen so schwammig umschrieben, dass Beobachter gar nicht anders können, als nach dem Bauchgefühl zu entscheiden, was darunter fällt und was nicht.

3.       Besonders fragwürdig ist die Methode des „Erdiskutierens“ von Gesamtbewertungen. Angeblich gilt im AC das Mehr-Augen-Prinzip. Verschiedene Beobachter bewerten die Kandidaten. Doch was ist, wenn die Beobachtungen sich widersprechen? Dann wird „diskutiert“. Und das unter Zeitdruck zwischen den Übungen. Als Resultat erhält man Bewertungen, auf die sich Assessoren trotz erheblicher Bauchschmerzen des einen oder anderen vereinbaren.

4.       Auswahlverfahren sollten objektiv sein, doch wie objektiv kann etwas sein, bei dem die Beobachter Empfehlungen und Wünsche mitbringen? Tatsächlich ist es in AC’s sehr häufig so, dass die Assessoren selbst oder bedeutsame Menschen im Unternehmen Präferenzen äußern und ihre so genannte Bewertung daran orientieren. Wenn man will, dass jemand gut abschneidet, dann gelingt einem das auch. Wahrnehmungsfehlern sei Dank.

5.       Ein besonderer Fallstrick für sinnvolle Gesamteinschätzungen stellt die Gruppendiskussion dar. In dieser hoch-dynamischen Situation verfestigen sich besonders schnell die Vorurteile. Nicht zuletzt weil diese Übung oft den Einstieg eines AC’s bedeutet. Introvertierte Menschen, die sich in Kleingruppen hervorragend einbringen können, haben hier meist verloren. Selbstdarsteller und Vielredner gewinnen nicht nur in Diskussionsgruppen Macht. Sie beeinflussen das Ergebnis der Gruppe und das Ergebnis der Meta-Gruppe mit den Beobachtern, wo sich leicht die gleichen Fehleinschätzungen einstellen und Menschen, die in den Vordergrund treten, besser bewertet werden, als solche die sich im Hintergrund halten. Die zufällige Zusammensetzung der Diskussionsgruppe tut ein weiteres dafür, die Vergleichbarkeit der Ergebnisse zu erschweren.

Das waren die Big Five Fehler des AC’s. Aus Ihnen sind leicht Lösungen abzuleiten. Man muss es nur wollen.

Dieser Wille fehlt in vielen Organisationen. AC’s an sich erzeugen die Illusion der Professionalität. Eine straffe Organisation macht Eindruck. Schwammige Feedbacks und banale Graphiken sorgen abschließend dafür, dass das Geld gut investiert erscheint.

Die Frage ist: Nach welchem Maßstab? Wenn es darum geht, nicht nur so zu tun also ob, wenn also nicht der schöne Schein, sondern tatsächlich ein faires Auswahlverfahren, das die fähigsten Kandidaten mit Potenzial entdeckt, das Ziel sein soll, kann man die meisten Assessment-Center ausschließen. Sie erfüllen weder die Ansprüche an Objektivität noch Validität noch Reliabilität.

Den Personalleitern kann ich nur raten, gleich eine Test-Batterie durchzuführen und sich den Zeit- und Kostenaufwand einfach zu sparen.

Einen Punkt will ich noch gesondert ansprechen. Es heißt in der Titelzeile Wertarbeit. Damit ist nicht nur ein gutes Handwerk gemeint, es bezieht sich auch auf Werte. An keiner anderen Stelle kann ein Unternehmen so eindringlich seine Werte demonstrieren wie in der Beurteilung von Mitarbeitern und Bewerbern. In dieser Machtsituation, in der die einen die Beobachter sind, deren Finger nach oben oder unten geht, und die anderen die Gladiatoren in der Business-Arena, zeigt sich der Charakter von Unternehmen und Menschen. Wie so häufig zeigt er sich besonders dann sehr prägnant, wenn man sich unbeobachtet fühlt. Wie sprechen die Assessoren über die Kandidaten, wenn diese nicht im Raum sind? Machen Sie sich über die Bewerber lustig? Agieren sie ihre Aggressionen heimlich an jenen ab, deren Vertrauen sie zum Start des AC’s eingefordert haben? Ein gutes faires AC spiegelt sich in einer wirklich fairen Behandlung der Kandidaten. Wer hier keine inneren Werte zeigt, hat sie nicht. Seine Arbeit kann nur Fassade sein.



Doch zurück zum Instrument. Ein AC kann ein hervorragendes Werkzeug sein. Es ist der Hammer unter den Auswahlverfahren und richtig angewandt, trifft es den Nagel auf den Kopf. Gute Nägel und hervorragender Hammer bewirken allerdings nur Stress und Kosten in den Händen von Menschen, die sich fahrlässig auf die Finger hauen. Wenn du in Eile bist, geh langsam – das sollte auch für die Durchführung von AC’s gelten.

Wer also AC’s und Potenzialanalysen durchführen möchte, die ihr Geld und mehr wert sind, kauft besser nicht von der Stange und nicht einen großen Namen. Er kauft Wertarbeit in jeder Hinsicht.

©2010 Personalentwicklung 3000 Thomas Lang, Berlin