Führungskräfte (Potenzialanalyse) im Nebel

Montag, 07. November 2011 18:28


Eine taugliche Potenzialanalyse steht und fällt mit einem professionellen Beobachtungstraining. Doch Vorsicht! Nehmen Sie sich ausgiebig Zeit, um ein Anforderungsprofil zu entwickeln und die Beobachtungskriterien sauber zu operationalisieren. Manch ein High Potenial verschwand schon wie ein Gorilla im Nebel von der Assessment-Center-Bühne, weil man das falsche falsch beobachtete.

Potenzialanalysen gehören in das moderne Instrumentarium der Personalentwicklung. Doch auch hier gilt: Qualität hat etwas mit Qual zu tun. Oberflächliches Beobachten bringt nicht die gewünschten Ergebnisse. Konzentration ist wichtig….und gefährlich.

Nach einer Studie von Obermann und Höft (2008) verwenden 64% der an der Untersuchung beteiligten deutschen Unternehmen im Schnitt weniger als einen halben Tag auf das Beobachtertraining.  In dieser Zeit kann es nicht gelingen, die vorher festgelegten Beobachtungskriterien übereinstimmend zu definieren, die Wahrnehmung zu schulen und die Einschätzung unter dem zeitlichen Druck erfolgreich zu üben.

Ein gutes Beobachtertraining braucht Zeit, Reflektion und die Möglichkeit der Teilnehmer Fehler zu machen, zu erkennen und zu beheben.  Was nicht im Beobachtertraining geschieht, wird auf das AC oder die Potenzialanalyse selbst verschoben.

3 Dinge und ein Plus sind entscheidend. Zunächst müssen die Beobachter auf gängige Beobachtungsfehler hingewiesen werden. Ähnlichkeit führt zu Sympathie und diese wiederum fördert ein positiveres Urteil. Für solche und ähnliche psychologische Fallen gilt es, Sensibilität zu entwickeln.

Zweitens ist es wichtig, den Bezugsrahmen der Beobachtung zu verdeutlichen. Hierzu zählt vor allem die einheitliche Festlegung, was in Bezug auf welche Beobachtungsdimension wie eingeschätzt wird. Beispiel: Wie viele (Wie) Ideen (Was) muss jemand im Rahmen einer Übung einbringen, um in der Dimension Kreativität (Welche) eine entsprechende hohe, mittlere oder niedrige Einschätzung zu erhalten?

Ergänzend kann im Sinne eines Verhaltensbeobachtungstrainings immer wieder betont werden, dass Interpretationen und Vermutungen im Widerspruch zum Beobachtungsansatz stehen.  Bewertet wird, was eine Kamera aufnehmen könnte, nicht das, was man im Hintergrund annimmt.

Die Kameraperspektive bewährt sich auch schon in der Vorbereitung, wenn man zur Kalibrierung der Beobachtung mit Bildmaterial arbeitet. Der Film bietet die Chance, Beobachtungsanker im Detail wiederholt vorzustellen und Abweichungen in der Bewertung Validität heilsam zu korrigieren.

Und trotzdem kann es geschehen, dass einem die High-Potentials durch die Lappen gehen. Wie ist das möglich? Assessement-Center und Potenzialanalysen arbeiten nach dem Prinzip der Aufmerksamkeitsfokussierung. Gefunden wird, was man sucht. Doch weiß man immer genau, was man sucht, bzw. braucht? Liegt die Lösung manchen (Personal-) Problems nicht vielleicht darin, den Suchraum zu erweitern und offen für Neue(s )zu sein?

Die Gefahr der Personalauswahl besteht darin, dass unerwartetes Potenzial  nicht erkannt wird. Deshalb ist es  wichtig, neben aller Konzentration auch Raum für Überraschungen zu bieten. Kann es sein, dass sich jemand nicht als Techniker eignet, aber Potenzial für den Vertrieb besitzt?

Profis in der Personalbeurteilung beherrschen diesen Spagat. Sie erkennen die Spieler, die ins Team passen und solche, die das Spiel verändern können.

Der Psychologe Daniel J. Simons hat ein interessantes Experiment durchgeführt, um die Gefahren der Wahrnehmungsfokussierung zu verdeutlichen. Hier finden Sie das Video dazu.

Die Lösung des Paradox könnte folgendermaßen aussehen. Der Gorilla-Guerillia-Ansatz: Trainieren Sie die Beobachter UND nehmen Sie einen oder zwei untrainierte Beobachter hinzu, deren Wahrnehmung nicht geschult wurde. Mit Hilfe dieser „Außenperspektive“ erweitern Sie den Suchraum, ohne eine fundierte Analyse des Suchzentrums zu vernachlässigen. Sollte es praktisch nicht umsetzbar sein, dass „ungeschulte“ Beobachter mitarbeiten, nehmen Sie sich in der Beobachterbesprechung am Ende eines AC’s Guerilla-Zeit, um zu fragen: „Was könnte uns entgangen sein? Ist unser Bauchgefühl mit der Entscheidung einverstanden? Bei welchem Kandidaten/in stoßen wir mit unseren Resultaten an Grenzen?“

Fazit: Es gibt mehr Gorillas als Sie denken. Verändern Sie Ihre Wahrnehmung und der Nebel wird sich lichten.

©2010 Personalentwicklung 3000 Thomas Lang, Berlin