Wolfszeit im Unternehmen

Samstag, 07. September 2019 19:04

Niemand mag Nazis. Ebensolche vielleicht ausgenommen. Doch neben den Ewiggestrigen gibt es noch eine ganze Reihe anderer unangenehmer Zeitgenossen, die einem das Leben und den Büroalltag vergällen können. Wie kann man damit umgehen?

Der Preisträger des Buchpreises der Leipziger Buchmesse Harald Jähner gibt in seinem Buch Wolfszeit indirekt eine Anleitung dafür. Das Nachkriegsdeutschland stand vor der Herausforderung, Menschen, die mit den Nazis kollaboriert hatten, zu integrieren. Für den Wiederaufbau war ihr Wissen unerläßlich. Die Situation ist der in vielen Unternehmen nicht ganz unähnlich. Nicht selten sind es die Miesepeter, Besserwisser und Griesgrame, wegen denen man nicht ins Büro kommen möchte, doch auf deren Know-how das Unternehmen scheinbar nicht verzichten kann. Ausgrenzung ist keine Alternative. Oder wie Konrad Adenauer meinte: Ich schütte kein schmutziges Wasser weg, so lange ich kein sauberes habe.

Zu Zeiten des Wirtschaftswunders integrierte man die moralischen Verbrecher, indem man ihnen zu einer neuen Identität verhalf. Anstatt auszugrenzen und zu moralisieren, erlaubte man ihnen, sich die Vergangenheit schön zu reden und zu denken. Aus Helfern des 3. Reichs wurden so Getäuschte, Betrogene und letztendlich Befreite. Tatsächlich befreiten sich diese Menschen unterstützt durch eine schweigende Gesellschaft von ihrem negativen Selbstbild. Sie waren so eben keine Ex-Nazis, sondern Menschen, die im Herzen eigentlich immer freiheitlich eingestellt waren und zu Unrecht gezwungen wurden. So gesehen viel es ihnen dann auch nicht mehr schwer, sich für die neue Idee der Demokratie zu begeistern. Befreit von den Schatten der Vergangenheit konnte man sich auf eine erfolgreiche leuchtende Zukunft konzentrieren.

Harald Martenstein betrachtet den damit verbundenen moralischen Konflikt in seiner Zeit-Kolumne. Natürlich wurde damals die Wahrheit flexibel betrachtet und der reinen Moral ein Riegel vorgeschoben. All das im Interesse des Aufbaus. Jetzt wird wieder in die Hände gespuckt, wir steigern das Brutto-Sozial-Produkt. 100% richtig und vor allem gerecht ist das nicht und trotzdem vielleicht der einzige Weg, der es möglich machte, auf eine andere Art gut weiterzuleben. Hätte man stattdessen damals auf konsequente Wiedergutmachung gepocht, wären die anstehenden Aufgaben, wohl nicht mit vergleichbarem Elan und letztendlich Erfolg bewältigt worden.

Diese Strategie des „Ein Augen zudrücken“ ist oft der einzige Weg für einen Neustart. In jeder Firma gibt es Menschen, die Fehler begangen haben und sich etwas zu Schulden kommenließen. Nicht selten handelt es sich dabei um menschliche Versäumnisse. Mangelhafte Wertschätzung, schroffe Kommunikation, Ignoranz finden sich dort, wo unterschiedliche Menschen auf engem Raum zusammenarbeiten. Damit dies auf Dauer erfolgreich geschehen kann, ist es manchmal erforderlich, daß man den anderen mit seinen Macken akzeptiert und – das ist der Wolfszeittrick – ihm die Chance gibt, sich selbst zu verzeihen. Dies ist möglich, indem man dem anderen ein positives Fremdbild anbietet. Der Korinthenkacker ist jemand, der detailverliebt auf Qualität achtet. Der cholerische Chef lebt für das Unternehmen mit Haut und Herz. Die Frage bleibt, ob man sich dabei nicht in die Tasche lügt. Die Antwort darauf könnte eine selbsterfüllende Prophezeiung sein. Menschen, die man positiv sieht, deren Veränderungspotential man erkennt, neigen dazu, sich tatsächlich zu verändern. Das wußte auch schon Douglas McGregor mit seiner XY-Führungstheorie. Wer das gute im Mitarbeiter erwartet und Vertrauen schenkt, wird motivierte Mitarbeiter ernten, die genau dies bestätigen. Wer Menschen für faul und kontrollbedürftig hält, wird sie gängeln und schon bald alles selber machen dürfen.

 

 Schwierige Mitarbeiter jeder Couleur, ob Wolf, Ziege oder Faultier, kriegt man am besten, wenn man ihre Stärken schätzt, sie an einem gemeinsamen großen Projekt arbeiten läßt und – ja, das gehört auch dazu – gelegentlich ein Auge zudrückt. Echte Nazis, wie immer, ausgenommen.

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