Das gesunde Mir-Gefühl

Mittwoch, 20. November 2019 20:46

„Mir san mir.“ Wer kennt diesen zünftigen bayrischen Spruch nicht, hinter dem sich sowohl eine gewisse Störrigkeit, aber eben auch Selbstbewußtsein verbirgt. Die Bayern grenzen sich ab. Und wie so oft ist die Identitätsfindung mit einer mehr oder minder starken Prise an Trotz verbunden. Vor 30 Jahren viel die Mauer. Es tut dem ganzen Land gut, sich trotzig an den Aufbruch zu erinnern und bei aller Grenzüberschreitung an die Abgrenzung zu denken, damit ein Wir-Gefühl entstehen kann.

David Precht prägte den Sinn- und Findungsspruch: Wer bin ich und wenn ja wie viele? Die Antwort findet sich, wenn man in den Spiegel sieht, nicht in das Nachrichtenmagazin, sondern in den Spiegel der anderen. Wenn Menschen sich selbst betrachten, neigen sie dazu, kleine Schönheitsfehler zu übersehen. Ein gewisses Maß an irrationaler Selbstaufwertung ist gesund, sagt die Psychologie. Freude schöner Narzißmus-Funke. Man könnte auch von gesundem Narzißmus sprechen. Gesund ist er zumindest so lange, wie er es ermöglicht, ein befriedigendes Leben mit anderen zu führen.

Hin und wieder trägt es zur psychischen Gesundheit bei, Nabelschau zu betreiben. Eine Familie schweißt sich durch Erinnerungen zusammen. Indem man sich erzählt, was man alles erlebt hat und die gemeinsame Vergangenheit mit Leben erfüllt, stärkt man das Mir-Gefühl und die Identität. Menschen, die sich in Geschichten als Einheit sehen, sind als Ganzes resilient gegen Krisen. Die Erinnerung wirkt wie eine Schutzhülle gegen die Zweifel des Alltags. Es ist überlebenswichtig für eine Gruppe, sich an gemeinsame Erfolge und Niederlagen zu erinnern. Selbstbewußtsein lebt im Betrachten alter Fotos, mag auch die Einschätzung, was damals wirklich geschah, auseinandergehen. Wenn Oma beim Sonntagsessen erzählt, was man im Kindergarten angestellt hat, mag das im ersten Moment befremdlich bis peinlich erscheinen. Langfristig führt es dazu, sich selbst und die eigene Familie zu verstehen und anzunehmen.

Wenn Menschen zusammenkommen und erzählen, was sie erlebt haben, dann ist das nicht nur Schwelgen in Nostalgie, es ist ein Versprechen für die Zukunft, das seine Wurzeln in der Vergangenheit hat. Vertrauen wächst über die Zeit. Der Rückblick in die eigene Geschichte ist eine Investition auf das Vertrauenskonto. Keine Zukunft ohne Vergangenheit. Kein Vertrauen ohne Geschichten. Um es zu haben, muß man es immer wieder neu fühlen, hören und sehen. Mir san mir, klingt nicht in jedermanns Ohren schön, aber darauf kommt es nicht an. Ebensowenig darauf, daß die Geschichten schön sind und allen gefallen. Trotz und Konflikt sind auch Leben. Wer seine Widersprüche lebt, ist auf einem guten Weg. Es ist möglich, daß man eins ist und vieles, würde David Precht wohl sagen.

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