Donnerstag, 05. März 2020 11:48
Personaler neigen zur Selbstüberschätzung was ihre Prognosefähigkeit und den Erfolg neuer Mitarbeiter anbetrifft. Sie suchen sich ihresgleichen, anstatt diejenigen zu wählen, die dem Unternehmen dringend erforderliche neue Impulse geben könnten. Die besten brauchen manchmal eine Wildcard.
Ein moderner Auswahl-Prozeß kennt heutzutage mehrere Stufen. Am Anfang steht immer noch die Sichtung der eingereichten Bewerbungsunterlagen. Doch Vorsicht, es droht der Deutschland-Bias. Gemeint ist die Gefahr, Menschen mit Kompetenz durch das kulturelle Normraster plumpsen zu lassen. Andere Länder, andere Bewerbungssitten. Deutsche Bewerbungsstandards gelten nicht überall auf der Welt. Die Form der schriftlichen Bewerbung gibt nur eingeschränkt Auskunft über die praktische Qualifikation des Bewerbers. Pfiffige HR-Manager geben Menschen aus anderen Kulturen eine Diversity-Wild-Card, das heißt sie erreichen die zweite Stufe, ohne die erforderliche kulturtypische Mindestqualifikation.
Wer es so oder so über diese erste Formgrenze schafft, den erwartet das Telefoninterview. Heutzutage kann dieses medial unterstützt zum Video-Interview mutieren. Doch selbst dieses erreicht nicht die Stärke eines echten Interviews. Ob man jemanden riechen kann, hängt oft vom Händedruck ab. Und auch bei der späteren Zusammenarbeit kommt es darauf an, daß man sich wohl fühlt. Telefon- bzw. Video-Interview sind ein hilfreicher und manchmal aus geographischen und finanziellen Gründen unabdingbarer Zwischenschritt, der zeigen kann, ob jemand zu einem professionellen Auftritt in der Lage ist. Es ist aber nicht möglich, die zwischenmenschliche Chemie 1 zu 1 zu digitalisieren wie jeder weiß, der schon einmal auf Dating-Webseiten war. Die Stunde der Wahrheit kommt.
Nach dem Online-Date erfolgt idealerweise die Einladung. Soziale Kompetenzen sollten dabei im Fokus stehen. Sinnvoll ist es aber auch, den Newbie mit einer Führungs- und Fachkraft zu konfrontieren, die ihn fachlich auf Herz und Nieren prüft. An jedem Arbeitsplatz gibt es kritische Situationen und für jeden Auswahlprozeß sollte eine Auswahl davon zur Verfügung stehen. Es ist spannend zu sehen, wie jemand, der noch nicht an das Unternehmen und seine Routinen gewohnt ist, alte Probleme anders löst. Hier gewinnt das Auswahlgespräch seinen großen Mehrwert für die Unternehmen. Sie haben die Chance, sich zu hinterfragen und eine neue Sicht auf sich selbst zu gewinnen.
Man spricht von einem Match, wenn die Personaler gemeinsam mit der Fachabteilung Kandidaten identifizieren, die mit dem Ideal-Profil harmonieren. Und dann ist es soweit. Das Team lädt zum Peer-Interview. Die Bewerber werden von ihren zukünftigen Kollegen interviewt. In viva, in einem natürlichen Arbeitsumfeld. Dieses Interview gliedert sich üblicherweise in einen theoretischen und einen praktischen Teil. Man spricht über die Arbeit und was einen sonst noch interessiert. Viele Teams legen einen eher persönlichen Schwerpunkt. Im praktischen Teil arbeitet man dann auch zusammen. Ein After-Work-Abstecher in die Bar um die Ecke ist nicht ausgeschlossen. Wer es bis dorthin schafft, muß fast nichts mehr beweisen. Schon sind die wichtigen Fragen geklärt: Kann er auf Augenhöhe mit den Kollegen kommunizieren? Hat sie Frolegen-Potenzial (Freund und Kollege in einem)? Die emotionale und soziale Intelligenz entscheidet über Bewerbungs- und über den späteren Teamerfolg.
Kritisch wird es, wenn das Team homogen aber nicht wirklich effektiv ist. Solch ein Team braucht nicht mehr vom gleichen, es braucht Impulse auf zwei Beinen. Und genau hier beißt sich die Peer-Katze in den Schwanz . Genauso wie viele Personaler neigen Teams dazu, sich selbst zu toll zu finden, anstatt Veränderung zu wagen. Der Selbsterhaltungstrieb eines Teams entpuppt sich als Todestrieb. Gerne würde man so weitermachen wie bisher, also sucht man nach Seinesgleichen. Ratsam wäre es auf Menschen zu setzen, die den Status Quo in Frage stellen. Augenhöhe ist wichtig, aber auch der Blick über den Tellerrand, wenn man auf das nächste Level kommen will. Als Faustregel könnte gelten: Ein starkes Team verstärkt sich selbst. Hier ist das Peer-Interview besonders nützlich. Ein schwaches Team braucht im Impulse von anderen. Von Oben, von Unten und von Außen. Eventuell sollte man auf die Team-Auswahl verzichten. Nicht immer ist es erforderlich, den ganzen Auswahl-Prozeß zu durchlaufen:
Der Vorhang schließt sich gerade nicht nach dem Casting-Lauf und deshalb bleibt auch die eine oder andere Frage offen. Team-Interviews können nützlich sein. Aber die Führungskraft, der Fachexperte, der Personaler, selbst FaceTime, haben ihren Platz auf der Bühne des Auswahlprozesses. Es ist wichtig dabei im Auge zu behalten, daß Recruiting Teil eines permanenten Change-Prozesses ist. Mut, Transparenz und ein konfliktfähiges Betriebsklima bestimmen den Erfolg entscheidend mit.
Personalentwicklung3000 hilft, Auswahlverfahren zu entwickeln, die zu vielen überraschenden Matchs führen. Wir gestalten Assessment-Center oder Potenzialanalysen. Wir begleiten auch Interviews professionell. Effektive Interview-Schulungen für Personaler, Führungskräfte und Peers stehen zur Verfügung. Impulse gibt es gratis. Hier finden sie ihre Wildcard.
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