Freitag, 05. Juni 2020 13:49
Stellen sie sich vor, sie hätten James Bond als Kollegen. Die Zukunft des Unternehmens wäre wohl gesichert. Nun braucht man keine Angst mehr vor einer schmutzigen Übernahmeschlacht zu haben. 007 wird die Firma retten. Dank furchtloser Dominanz. Dieses Persönlichkeitsmerkmal gilt seit Kurzem als der Hit im Assessment Center. Es ist die neue Lizenz zu Entscheiden.
Schon lange gab es die Vermutung, daß sich im Management Psychopathen tummeln. Fast jeder kennt diesen Menschenschlag aus eigener nicht nur leidvoller Erfahrung. In kritischen Situationen behalten sie einen klaren Kopf. Sie sind fokussiert und Widerstände treiben sie zu Höchstleistungen. Vor Entscheidungen haben sie keine Angst. Auch nicht, wenn es um Menschenschicksale geht.
Neueste Untersuchungen deuten darauf hin, daß diese Persönlichkeitstypen, die man im Hochsicherheitstrakt von Gefängnissen ebenso findet wie in den höchsten Chefetagen, für Unternehmen von unschätzbaren Wert sein können. Vorausgesetzt sie sind gut sozialisiert.
Eine Studie von Gerhard Blickle und Hanna Genau, in der 4000 Berufstätige in Deutschland untersucht wurden, zeigte sich, daß das Merkmal „Furchtlose Dominanz“ eine Art von affektiver Ressource am Arbeitsplatz sein kann. Es drückt sich in einer starken Extraversion in Kombination hoher emotionaler Stabilität aus. James Bond bleibt in jeder Lebenslage handlungsorientiert. Er löst Probleme, ohne zu lamentieren. Dabei geht er allerdings auch manchmal über Leichen. Ein Collateral Schaden, den es im richtigen Leben unbedingt zu verhindern gilt.
Damit der Chef nicht im Gefängnis landet, benötigt er vor allem zweierlei: Intelligenz und ein unerschütterliches Wertesystem. Beides wird in der Sozialisation angelegt und trägt am Ende zu einem hohen Bildungsniveau bei. Kluge Menschen mit der Lässigkeit eines Geheimagenten sind häufiger wirtschaftlich erfolgreich und mit ihrem Leben zufrieden. Sie tragen trotz und wegen ihrer Persönlichkeitsstruktur zum Gedeihen eines Gemeinwesens bei. Manch einen führt es über den Dienst am Materialismus hinaus sogar in die Position eines Staatslenkers. Bei einer nachträglichen Einschätzung amerikanischer Präsidenten durch Experten tauchte immer wieder der Trait „Furchtlose Dominanz“ auf. Er trägt zu einer langen erfolgreichen Dienstzeit und wenig Skandalen bei.
Was für Amerika gut war, sollte auch in vielen Unternehmen funktionieren, könnte man meinen. Um in Assessment-Centern und Potenzialanalysen die positive Psychopathie zu entdecken, sollte man die Teilnehmer bewußt mit Situationen konfrontieren, die die Verarbeitung komplexer Informationen unter Zeitdruck fordern. Die aktivierende Komponente der sozialen Bewertung ist im AC ohnehin stets zusätzlich präsent. Nur wer hier kühlen Kopf bewahrt, hat das Zeug zur Nummer 001.
Gleichzeitig ist es unabdingbar, das Normsystem der Kandidaten kritisch zu durchleuchten. Die reife verantwortliche Führungskraft sollte sich an sozial vereinbarten Regeln orientieren, was nach dem Moralforscher Lawrence Kohlberg mindestens Stufe 5 von 6 hierarchisch geordneten Moralstufen entspricht. Nur etwa ein Viertel aller Menschen erreicht dieses Niveau.
Biographische Interviews und die Konfrontation mit Dilemmata-Situationen könnten hier Aufschluß geben. „Was waren die wichtigsten Entscheidungen, die sie bisher in ihrem Leben treffen mußten?“ „Warum haben sie sich so entschieden?“ „Hätte es auch andere Möglichkeiten gegeben?“ Durch die wiederholte Konfrontation mit moralischen Dilemmata-Situationen unter Druck läßt sich ein tief verankertes Wertesystem enthüllen. Gleichzeitig zeigt sich in der Reflektion der intellektuelle Reifegrad der Persönlichkeit. Die Art und Weise der Entscheidungsvermittlung, insbesondere im nonverbalen Ausdruck, ist Zeugnis für die emotionale Stabilität.
Wer hochintelligent und kaltblütig ist, wird den Braten vermutlich riechen und sich ins rechte Licht zu rücken wissen. Die emotionale Stabilität wird es den Assessoren nicht leichtmachen, dieses Impression Management zu durchschauen. Übung, Einfühlungsvermögen und viele Beobachtungsdaten sind der Schlüssel zum Erfolg.
Ein Assessement der furchtlosen Dominanz bleibt eine Herausforderung. Es ist eine Gratwanderung, bei der es mit Hilfe des Mehraugenprinzips darum geht, Persönlichkeiten zu identifizieren, denen die Balance zwischen Gemeinschaftssinn und innerer Distanz gelingt, zwischen das richtige Tun und den schönen Schein wahren.
In einer Welt, die aus den Fugen gerät, könnten gute Psychopathen die neuen Helden des Management werden. Assessoren im Dienste ihrer Majestät verhelfen ihnen zu der Lizenz zu Entscheiden.
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